Der etwas andere Pfarrer

Besuch des Seminars „Katholisch, konservativ, kontrovers?“ der Beruflichen Oberschule Passau bei Pfarrer Schießler in München


Egal, was man fragte, er hatte auf alles eine überzeugende Antwort. Egal, wie kritisch wir waren, zu allem veränderte er unsere Sichtweise. Egal, welche Meinung wir bisher hatten, für alle erweiterte er den Horizont. Der Münchner Pfarrer Rainer Maria Schießler, bekannt wegen seiner etwas anderen Ansichten zur katholischen Kirche, nahm sich die Zeit, um für die Seminargruppe „Katholisch, konservativ, kontrovers?“ der FOS BOS Passau jede Frage zu beantworten, die die Abiturienten hatten.
Der Pfarrer selbst ist in der katholischen Kirche bekannt wie ein bunter Hund. Durch seine progressive Haltung zu einigen Themen, wie zum Beispiel Homosexualität, Zölibat und moderne Formen der Liturgie, zeichnet er genau das Gegenteil einer versteiften und aussterbenden Kirche. Statt der klassischen konservativen Antworten und Verhaltensweisen setzt er mit seiner Meinung und seinen Messen neue Maßstäbe. So hält er sogenannte „Viecherlmessen“ oder traut homosexuelle Paare, was viele Menschen wieder an die Kirchengemeinde bindet. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass der Pfarrer sonntags bis zu 700 Menschen in die Kirche lockt. Genau dieses etwas Andere und sein Charisma brachten ihn nicht nur in Film und Fernsehen, sondern auch zum Schreiben – von bald neun Büchern. Selbst das Aufnehmen von Podcasts ist für den 63-jährigen Bayern kein Problem. Daher stellt der Pfarrer einen idealen Frage- und Ansprechpartner für unser Seminar dar. Das Ziel der Seminaristen war ganz klar: Mal eine andere Meinung zur katholischen Kirche zu hören. Mal sehen, wie die Kirche auch sein kann. Mal spüren, wie eventuell die Kirche der Zukunft aussehen könnte.
Deshalb freute sich am 18.7.2024 das ganze Seminar, bestehend aus zwölf Schülerinnen und Schülern sowie den zwei katholischen Religionslehrerinnen der Beruflichen Oberschule Passau, Frau Zels und Frau Kobler, auf die Reise nach München. Das Seminar schaffte es, im engen Terminkalender des begehrten Pfarrers einen Interviewtermin zu bekommen, was auch für die Lehrkräfte ein besonderes Erlebnis darstellte. Nach der dreistündigen Anreise übersah man daher einfach die Menschenmassen, ignorierte die Hitze am Münchner Hauptbahnhof und fuhr per U-Bahn direkt zur St. Maximilians Kirche des Geistlichen im Münchner Glockenbachviertel. Dort begrüßte Pfarrer Schießler das Seminar, ganz leger in kurzer Hose und T-Shirt sowie mit kühlen Getränken an einer großen Tafel mitten in der Kirche. Allein an der Gestaltung des Innenlebens der Kirche zeigte sich, dass hier die katholische Religion etwas anders zelebriert wird: Statt nur klassischer und altertümlicher Gemälde und Fresken sah man überall zeitgenössische Fotos.
Und dann ging es nach kurzem Smalltalk auch schon los. Beeindruckend war für alle, wie der Pfarrer zum einen den Horizont des Seminars erweitern konnte, zum anderen aber auch, wie er mit nachvollziehbaren Argumenten neue Antworten auf alte Fragen fand. Ein Beispiel gefällig? Bei den Argumenten der katholischen Kirche, warum Frauen keine wichtigen Ämter, wie die eines Pfarrers oder Bischofs, in der katholischen Kirche ausüben können, zeigte er der Gruppe auf, dass die Kirche von der theologischen zur biologischen Erklärung ohne Tiefgang hin- und herspringen würde. Für ihn sollte jeder Mensch diese Ämter erreichen können, der die Liebe und die Lehre Jesu in sich trägt und weiterverbreitet, unabhängig vom Geschlecht oder der Sexualität. Für ihn wäre das auch ein Teil der Kirche der Zukunft. Er lehne keine Frage ab, sondern handele stets nach dem Motto seiner Pfarrei: Jede Idee wird angehört. Das Gespräch war auch deswegen interessant, weil fast alle Themen, die heute die Menschen mit der katholischen Kirche beschäftigen, angesprochen wurden. Wie beispielsweise auch die Missbrauchsskandale, bei denen Pfarrer Schießler eklatante Fehler im System einräumte. Unter anderem erklärte er, dass bei der Ausbildung zum Pfarrer nie darauf geachtet werde, ob die Kandidaten für den Zölibat überhaupt geeignet seien. Dennoch sei es für ihn kein Grund, die Kirche deswegen zu verlassen und ihr den Rücken zuzuwenden. So fragt er bei Ausgetretenen nach und legt diesen nahe, dass Veränderung nur von innen heraus und durch die Mitglieder passieren kann.
Zudem stellte er uns seinen engen Vertrauten Stephan Maria Alof vor, der als geoutetes, verheiratetes sowie engagiertes Kirchenmitglied nicht gerade die Norm der typisch katholischen Kirche darstellt und deswegen für uns der ideale Gesprächspartner war. Auch er nahm das Seminar (mit frischen Sandwiches) gastfreundlich in Empfang. Mit Pfarrer Schießler arbeitet er seit 30 Jahren zusammen, nachdem ihm aufgrund seiner Sexualität der Wunsch, Mönch zu werden, verweigert wurde. Trotz dieser niederschlagenden Erfahrung fühlt er sich nach eigenen Aussagen in der Kirche und der Gemeinschaft wie zuhause und arbeitet als Kirchenpfleger für die Gemeinde des Pfarrers. Ein wirklich einzigartiges Beispiel – leider! Besonders wichtig ist ihm dabei das Interesse und die Teilnahme der Jugendlichen an der Kirche, weshalb er mit Pfarrer Schießler die Messen kreativ gestaltet und für andere Veranstaltungen sorgt, die man sonst von Kirchen nicht kennt. Beispielsweise die „Geburtstagsparty“ im Anschluss an die Christmette – begleitet von DJ und Glühwein namens „Heißer Bischof“, und das mitten in der Kirche. Auch so lassen sich also Kirche und Gemeinschaft feiern.
Nach dem Gespräch hatte der Pfarrer noch eine Überraschung für das Seminar. Er schenkte der Reisegruppe einen Blick über München auf dem Dach der Kirche. Und hier ist das Dach wortwörtlich zu nehmen. Nach unzähligen, halsbrecherischen Stufen erreichte die Gruppe das Dach zwischen den beiden Türmen der Kirche. Der Ausblick entlohnte die physischen und psychischen Strapazen bis dort hinauf. Alle hörten gebannt zu, wie der Pfarrer einiges über die Gebäude Münchens und die dazugehörigen Anekdoten zu erzählen wusste, während man den Sonnenuntergang genoss.
Das Seminar bedankte sich bei Pfarrer Schießler und Stephan Alof mit einem „Passau-Krimi“ und einer Flasche Wein. Zum Abschluss verabschiedete der etwas andere Geistliche, der sich selbst zwar nie als Rebell gesehen hat, jedoch gesteht, dass die Kirche ihn heute nicht mehr weihen würde, die Gruppe nach dem knapp vierstündigen Besuch mit den Worten: „Bleibt der Kirche treu.“ Noch in der Nachbesprechung war man sich schnell einig, dass so ein Pfarrer jedem Bistum guttun würde. Warum? Weil er eben der etwas andere Pfarrer ist.

Julian Gentner, Anja Steininger, StRin Andrea Kobler, StRin Veronika Zels

 

 

 

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